Großaufnahme eines Waldes und zwei Menschen in München.

Kolumne: Urlaub in der eigenen Stadt

Mein Freund, der Baum

Unsere Autorin konnte in den letzten Jahren als Reisebloggerin ihren Entdeckerdrang ausleben, zurück in München war immer Entspannung angesagt. Was sie dabei verpasst hat, holt sie in dieser Kolumne nach – und macht deshalb regelmäßig Urlaub in der eigenen Stadt. Diesmal begleitet sie den Förster und Naturschützer Dr. Rudolf Nützel bei einem Spaziergang im Naturschutzgebiet Allacher Lohe und geht dabei der Frage auf den Grund: Was genau macht der Wald eigentlich mit den Menschen, die ihn besuchen?

Als ich an der S-Bahn-Station Karlsfeld aussteige und die Hand von Rudolf Nützel, Förster und Geschäftsführer des Bund Naturschutz München, schüttele, beginnt sofort unser Gespräch über den Wald. Genauer gesagt, die Allacher Lohe, denn der Förster verortet mich gleich und deutet auf das angrenzende Waldstück, das von hier aus zu sehen ist. Wer sich für den Naturschutz einsetzt, ist mit ganzem Herzen dabei. Oder, wie Nützel es selbst ausdrückt: „Ich war schon immer ein bisschen öko.“

Als ich Herrn Nützel zwei Wochen zuvor angerufen hatte, war seine Wahl für unseren gemeinsamen Spaziergang schnell auf dieses kleine Waldstück gefallen. Die Allacher Lohe, die durch die A99, eine Siedlung, die S-Bahn-Gleise und einen Rangierbahnhof abgeschnitten vom Umland ist, wirkt auf Google Maps wie ein tapferes Stückchen Wald, das sich nicht verbauen lässt. Noch nicht.

Der Förster, Fotograf Frank und ich laufen von der S-Bahn-Station Richtung Naturschutzgebiet. Zuerst müssen wir jedoch den Allacher Tunnel überqueren, der 1998 eröffnet wurde. „In Bayern gibt es kaum noch urwaldartige, naturnahe Wälder. Die noch bestehenden Reste müssen unbedingt erhalten bleiben. Ein letztes Schwarzspecht-Brutpärchen ist hier zu Hause, das sind Vögel, die bis zu 58 Zentimeter groß werden“, sagt Nützel, als wir von der Teerstraße auf eine Schotterpiste einbiegen. Anderthalb Quadratkilometer Eichen-Hainbuchen-Wald liegen vor uns, die Mindestgröße für einen Specht dieser Art. Ein Mini-Laubwald an der S-Bahn-Station.

Und in den tauchen wir nun ein. Als das dichte Grün entlang des schmalen Weges immer wilder wird, frage ich den Förster, was einen gängigen Wald vom Naturschutzgebiet unterscheidet. Nützel, der vorangeht und alle paar Meter stehen bleibt, um mich auf etwas aufmerksam zu machen, das mir ohne ihn durch alle Sinne gerutscht wäre, sagt: „In einem Wald herrscht ordnungsgemäße Forstwirtschaft, das Waldrecht. Im Naturschutzgebiet hat jedoch der Naturschutz Vorrang vor der normalen Nutzung, welche Abholzung und die Erholung des Menschen einschließt.“ Konkret heißt das, dass beispielsweise tote Bäume nicht gefällt werden und Umgestürzte liegenbleiben.

Wenn Manager grüppchenweise in Waldstücke abtauchen, um dreihundert Jahre alte Eichen zu umarmen, wird klar: Der Mensch will zurück zu seinen Wurzeln. Oder zumindest zu denen der Bäume.

Auch wenn es für einen Tag im Mai sowieso recht kühl ist, spüre ich, wie die Luft immer frischer und feuchter wird, je tiefer wir in den Wald eindringen. Und auch wenn ich viele Fragen für den Förster notiert habe, merke ich gleichzeitig, wie ich mich entspanne und viel lieber Rudolf Nützels Wissen lausche, anstatt ihn zu unterbrechen und meinen Fragen auf den Grund zu gehen. Ich bin also bereits nach ein paar Minuten mitten in einem Trend angekommen – dem Waldbaden. Eine Tradition aus Japan, die sich Shinrin-yoku nennt, und in den 80er-Jahren vom japanischen Landwirtschaftsministerium eingeführt wurde.

„Das grüne Chlorophyll wirkt entspannend auf uns“, erklärt Nützel. Das Natürlichste überhaupt, nämlich Zeit im Wald zu verbringen und sich seiner wohltuenden Atmosphäre zu öffnen, benötigt heute einen hippen Begriff, um die Gesellschaft überhaupt darauf aufmerksam zu machen. Menschen lassen sich nun zu Waldtherapeuten ausbilden, das Thema boomt nicht zuletzt durch Peter Wohllebens Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ und spätestens, wenn Manager*innen grüppchenweise in Waldstücke abtauchen, um dreihundert Jahre alte Eichen zu umarmen, wird klar: Der Mensch will zurück zu seinen Wurzeln. Oder zumindest zu denen der Bäume.

Nützel zieht im gleichen Atemzug eine Verbindung zur Vermüllung von Naturgebieten. „Warum nehmen Leute ihren Müll nicht mit, wenn sie den Wald verlassen? Sie haben ihn ja schließlich auch reintragen können. Heute heißt das Littering, ist aber trotzdem einfach nur Müll.“ Wir schmunzeln. „Ich glaube“, führt er fort, „dass es viel mit diesen To-Go-Geschichten zu tun hat. Alles muss gleichzeitig stattfinden – Cappuccino trinken während des Spazierengehens. Aufgrund dieser Schnelllebigkeit gibt es dann solche Gegenbewegungen wie Shinrin-yoku, damit der Alltag wieder entschleunigt wird.“

Während unseres Gesprächs entdeckt Fotograf Frank ein paar Blumen mit gelben Blüten am Wegesrand und beginnt zu fotografieren. Nützel kniet sich neben ihn und ich hoffe derweil, dass er mich nicht auf mein Pflanzenwissen testet, das trotz meiner eigenen Naturverbundenheit gegen Null geht. „Das Blatt gleicht dem einer Brennnessel“, sage ich schließlich und Nützel fügt hinzu, dass es jedoch nicht über Brennhaare verfügt.

Er nimmt sich eine der gelben Blüten und isst sie genüsslich.„Wenn ich mit Kindern unterwegs bin, frage ich oft, wer etwas Süßes möchte. Dann ernte ich immer große Augen, es handelt sich ja schließlich nicht um ein Bonbon. Die Goldnessel lockt mit ihrem süßen Nektar die Bienen an.“ Aufs Stichwort fliegt eine Hummelkönigin vorbei und Nützel kommentiert ihr lautes Brummen mit den Worten, dass es sich immer lohne, mit offenen Sinnen durch den Wald zu gehen. Ich nicke ehrfürchtig und wir setzen unseren Weg fort.

Mich interessiert nun, wie sich seine Waldbesuche mit Kindern von denen mit Erwachsenen unterscheiden und er erzählt, dass es mit Kindern vor allem spielerisch zugeht. Leise sein und das Pirschen im Wald wird geübt, was vor allem die teilnehmenden Lehrer gut finden, denn die meisten Stadtkinder kommen aufgekratzt im Wald an. Um Wildtiere zu beobachten, muss man sich jedoch leise verhalten. Oftmals werden die Kinder mit dem Beobachten eines Feldhasen, Eichhörnchen oder einem Specht belohnt, der sich aus einer abgestorbenen Fichte die Larven herauszieht.

„Genau das ist beim letzten Mal passiert und dann staunen natürlich alle.“ Und wie schaut es mit den Erwachsenen aus? „Erwachsene wollen eher Wissen vermittelt bekommen. Viele finden es interessant, wenn ich erzähle, dass die bayerischen Motorenwerke hier ihre Flugzeugmotoren hergestellt haben und deshalb der Propeller bei BMW nach wie vor die Farben Blau und Weiß trägt.“ Der Veranstaltungskalender des Bund Naturschutz ist voll: Tagesausflüge oder Kurztrips werden angeboten, von der ausgedehnten Radtour durch Fluss- und Seenlandschaften hin zu einem Spaziergang, bei dem essbare Wildkräuter näher gebracht werden, ist alles dabei.

Wir laufen ein paar Meter querfeldein und bleiben vor einer toten Fichte stehen, die keine Nadeln mehr trägt. Sie hat die Dürre des letzten Sommers nicht überlebt, denn die Fichte ist, wie ich lerne, ein Flachwurzler, die sich ihre Nährstoffe aus den oberen Schichten der Erde holt und über kein tiefes Wurzelsystem verfügt. Die Fichten, so Nützel, werden wir im Raum München in den nächsten zehn Jahren aufgrund des Klimawandels ganz verlieren.

Ein großes Stück Rinde steht vom Baumstamm ab. Der Förster zieht es zu sich und erklärt mir, was darunter zu leben beginnt, wenn der Baum stirbt. Viele Waldasseln wuseln umher, Spinnennetze sind zu sehen und auch die Fraßgänge eines Borkenkäfers. „Männlein und Weiblein kommen in den Gängen unter der Borke zusammen in der sogenannten Rammelkammer.“ Ich muss lachen und Nützel auch. „Das ist ein offizieller biologischer Begriff. Biologen sind ja auch nur Menschen.“

„Das Eintauchen in die Feuchtigkeit, das Dämmerlicht, die Stoffe, die Bäume aussenden... das alles macht was mit uns.“
Dr. Rudolf Nützel

Apropos Menschen – viele, die mit Nützel in den Wald gehen, waren das letzte Mal zu Grundschulzeiten unter Anleitung im Grünen. „Hören Sie das? Ein Buchfink. Den erkennen heute nur noch die wenigsten, wenn sie ihn sehen“, sagt er zu mir und auch ich würde ihn sicherlich nicht bestimmen können. Seiner Meinung nach gehört zum öffentlichen Wohl, von dem der Freistaat Bayern so oft spricht, vor allem die Erhaltung der Wälder und das Bewusstsein der letzten Bestände. „Das Eintauchen in die Feuchtigkeit, das Dämmerlicht, die Stoffe, die Bäume aussenden... das alles macht was mit uns. Deshalb müssen die letzten Waldflächen unangetastet bleiben.“ Wieder nicke ich ehrfürchtig.

In diese gigantischen Ruheräume kann man in und um München besonders gut eintauchen. „Jedes Waldgebiet ist interessant, angefangen mit dem Nymphenburger Schlosspark, ein Eichen-Hain-Buchenwald, der mit der Straßenbahn erreicht werden kann“, sagt der Förster. Und dann wäre da noch der Truderinger Wald und natürlich der Perlacher Forst, wo ein Biotop und der Perlacher Mugl, ein 26 Meter hoher Aussichtshügel, auf Gäste warten. Grüne Oasen, in die sich alle für ein paar Stunden flüchten können, um den Trubel der Stadt hinter sich zu lassen.

Nach knapp zwei Stunden Spaziergang nähern wir uns wieder dem Allacher Tunnel. Die Autobahn ist zu hören, ein Grundrauschen, das mich daran erinnert, wie schwierig es mittlerweile geworden ist, einen kaum frequentierten, stillen Platz zu finden. „Man kann sich ja einreden, dass das Grundrauschen ein Wildbach ist“, meint Nützel. Und das probieren wir dann gleich mal aus.

 

Schon gewusst?

 

Die Münchner Wälder

Zehn Wälder, darunter auch die Allacher Lohe, gehören zu den Münchner Waldgebieten. Sie bestehen aus Auwäldern, Eichen-Hainbuchenwäldern, Niedermoor- und sogenannten Leitenwäldern, die an den Hängen des Isarhochufers liegen. Verschiedene historische Nutzungen, Moorlandschaften (zum Beispiel das Schwarzhölzl), seltene Pflanzenarten und Biotope (zum Beispiel die Aubinger Lohe) machen den Waldbestand so vielfältig.

 

Hartelholz und Panzerwiese

Das Naturschutzgebiet Hartelholz ist eine grüne Anlaufstelle für alle, die auch an einem geschichtlichen Bezug interessiert sind. Was einst als kurfürstliches Jagdrevier genutzt worden war, diente im Mittelalter als Pestfriedhof. Als Ruine noch immer erhalten ist eine ehemalige Flakbatterie aus dem zweiten Weltkrieg, die 1941 errichtet wurden. Südlich des Hartelholz liegt die Panzerwiese, deren Name auf ihre einstige militärische Nutzung zurückgeht – sie ist Teil des Naturschutzgebiets Hartelholz und Panzerwiese.

Klettern in Vaterstetten

Für Familien ist der Kletterwald in Vaterstetten (S4/S6) ein beliebtes Ausflugsziel, denn er umfasst 21.000 Quadratmeter Wald. Insgesamt dreizehn verschiedene Parcours in unterschiedlichen Höhen sind hier zu finden, außerdem gibt es immer wieder Veranstaltungen wie das Mondscheinklettern – die lange Nacht des Kletterns.

www.muenchner-wald.de

 

Der Perlacher Forst

Die Tram 25 fährt direkt in ein Waldgebiet Münchens, nämlich den Perlacher Forst. Da die meisten Wege nicht verschlungen oder von Baumwurzeln durchzogen sind, eignet sich der Wald vor allem für Familien mit Kinderwägen oder Jogger, die eine Runde laufen wollen. Vom Perlacher Mugl, einem 26 Meter hohen Aussichtshügel, kann man das Waldgebiet überblicken, Einkehrmöglichkeiten gibt es mehrere, zum Beispiel die Nussbaumranch oder den Biergarten Kugler Alm.

www.kugleralm.de

 

Der Münchner Waldfriedhof

Im Süden der Stadt ist der erste Waldfriedhof Deutschlands und der größte Münchens zu finden. Auf 170 Hektar kann man hier gut spazieren gehen zwischen hohen Bäumen, auf schmalen Pfaden und über weite Wiesen. Auch bekannte Namen stehen auf so manchem Grabstein: der Schriftsteller Michael Ende, der Physiknobelpreisträger Werner von Heisenberg und der Ingenieur Carl von Linde, um nur drei zu nennen, haben hier ihre Ruhestätte.

 

 

Text: Anika Landsteiner; Fotos: Frank Stolle
Le torri della Frauenkirche di Monaco di Baviera fotografate dall'alto.
Turmauffahrt Frauenkirche

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Commerciante di frutta secca al Viktualienmarkt di Monaco di Baviera.
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Il piatto principale del menu al GOP Varieté Theater di Monaco.
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